#Shopstopyear: eine Berlinerin räumt auf
Micha Zischek wohnt in Berlin und hat im letzten Jahr das für viele von uns Undenkbare gewagt: Ein Jahr ohne Klamottenshopping. Wie sie sich außerdem reduziert hat und wie das ihre Art, mit den Dingen umzugehen, verändert hat, klären wir im Interview.
Du hast im letzten Jahr versucht minimalistisch zu leben. Wie kam es zu der Idee?
Ich habe im Sommer 2015 ein Buch der Japanerin Marie Kondo gelesen. In "the life changing magic of tidying up" schreibt sie, wie befreiend es sein kann, sich bei seinem Besitz auf das Wesentliche zu reduzieren. Ihre Lösung: Man trennt sich von den Gegenständen, die man eigentlich gar nicht um sich haben will. Auch bei den Dingen, die man behält, hinterfragt man, ob man es noch braucht. Ich hab danach radikal meine Wohnung ausgemistet und fand es großartig, wieviel besser ich mich mit den leeren Schubladen gefühlt habe.
Ich war geködert und habe dadurch auf Instagram von vielen weiteren Projekten erfahren, die sich um das Reduzieren drehen. So etwa von der #project333-Challenge, bei der man einen "capsule waredrobe" erstellt, eine Art Minikleiderschrank. Man wählt 33 Teile aus dem eigenen Kleiderschrank aus (Hosen, T-Shirts, Pullis und so weiter – ohne Sportsachen und Unterwäsche, aber mit Schuhen, Jacken und Taschen) und versucht drei Monate nur mit den ausgewählten Stücken zu leben. Den Rest der Kleidung räumt man für die Zeit weg, damit man nicht in Versuchung kommt. Von Minimalismus hatte ich vorher noch nichts gehört.
Ich habe das ein Jahr lang gemacht und alle Teile, die ich in dieser intensiven Phase nicht gerne getragen habe, danach auf dem Flohmarkt verkauft. Das Leben mit nur 33 Teilen im Schrank hat mir nochmal gezeigt, dass ich auch „eingeschränkt“ gut auskomme und trotz verminderter Auswahl gutangezogen sein kann. Dieser konsumkritische Nachhaltigkeitsgedanke war dann auch der Anstoß für das #Shopstopyear - also mein Jahr ohne Klamottenshopping.
Zu welchen Situationen ist dir deine Entscheidung besonders schwer gefallen?
Es war nicht so schwer, wie ich gedacht hätte. Das Nicht-Shoppen ist sogar leichter geworden, je länger ich nicht beim Einkaufen war. Besonders schwer ist es mir am Anfang gefallen, wenn ich viel Stress hatte oder es mir schlecht ging. Ich habe festgestellt, dass ich in solchen Situationen gerne einkaufen gehen wollte, so als würde mich der Kauf einer neuen Bluse glücklicher machen. Das geht natürlich gar nicht, aber das Muster "kauf dich glücklich!" hatte ich wohl doch verinnerlicht.
Wie hat dein Umfeld auf deinen „Verzicht“ reagiert?
Ich habe mich auf Instagram viel mit Leuten ausgetauscht, die entweder bereits recht minimalistisch leben, oder gerne nach dem Prinzip "weniger ist mehr" leben wollten. Es war toll, den Fortschritt und die Herausforderungen mit Leuten zu teilen, die gerade ähnliches erleben. Meine Familie hat es anfangs nicht so recht verstanden. Wenn der Platz da ist, warum soll man sich dann reduzieren? Warum nicht einfach kaufen, was einem gefällt, wenn man das Geld dazu hat? Über die Zeit haben sie es immer besser verstanden und mittlerweile habe ich mit dem Ausmisten und dem eine-gewisse-Zeit-nichts-Einkaufen schon viele Leute angesteckt!
Das Projekt ist nun vorbei. Welche Gewohnheiten behältst du und was wird sich für dich ändern?
Ich mache heute keine Impulskäufe mehr und überlege lange, ob ich das neue Kleid, Möbelstück oder Handy wirklich brauche und ob es lange halten wird. Ich kaufe heute hochwertiger ein und schaue auch erstmal auf dem Flohmarkt, ob es das vielleicht gebraucht gibt. Ich habe mich viel damit beschäftigt, wie unsere Klamotten eigentlich hergestellt werden und bilde mich bei der Kampagne für saubere Kleidung als fairfashion-Expertin fort – ein völlig neues Themenfeld für mich. Denn in den letzten eineinhalb Jahren wurden nicht nur meine Wohnung ausgemistet und mein Kaufverhalten umgekrempelt: auch meine Festplatte, meine Facebook-Freunde sowie meine Gewohnheiten habe ich „aufgeräumt“. Ich habe mir so oft überlegt, was mir wichtig ist und ob ich dies oder das noch in meinem Leben haben will, dass ich am Ende auch meine Lebensumstände ziemlich umgekrempelt habe. Man stellt dann etwa fest, dass Gesundheit, viel Reisen und eine sinnvolle berufliche Aufgabe wichtiger sind als eine Karriere mit super Gehalt, aber ohne Zeit das Geld auszugeben. Heute arbeite ich nur noch Teilzeit und zwar für ein Projekt, das sich für eine global gerechte und nachhaltige Welt einsetzt. Ohne das Ausmisten hätte ich diesen Job nie in Erwägung gezogen.
Platzprofessor Redaktionsteam
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