Lagern – ein Schwebezustand?
Der Mensch besitzt viele Dinge. Viele Dinge, die er auch irgendwo unterbringen muss. Wenn etwas keinen Platz mehr in der Wohnung findet, muss es eben in den Keller, um „bestimmt später“ einen passenden Ort zu finden. Immer wieder beschäftigen sich Wissenschaftler und Journalisten mit den Fragen, wieso es meist leichter fällt, Gegenstände einzulagern anstatt sie wegzuwerfen und welche Gewohnheiten bei der Lagerung entstehen.
Die Lagerung von Gegenständen im eigenen Keller thematisieren z.B. David Hugendick und Ulrich Stock im Zeit Magazin vom 5. August 2015. Als personalisierten Ort stellen sie den Keller als Problemzone des Hauses dar, welche anfangs einiges über sich ergehen lässt und später anfängt, im Konjunktiv zu sprechen. „Man müsste mal. Man sollte vielleicht. Man hätte doch längst. Und man könnte eigentlich.“ Der Keller speichert Aussortiertes und enthält die unterschiedlichsten Dinge, wie Gegenstände für den Sommer, Gegenstände für den Winter, Teile von Ihr, Teile von Ihm, Altes und Neues. Dinge werden zwischengelagert, vielleicht einmal wieder hervor geholt, vielleicht für immer vergessen.
Wer keinen Keller hat, dem stehen seit einigen Jahren auch Selfstorage-Häuser zur Verfügung. In deutschen Großstädten werden immer mehr solcher Lagerhäuser für Privatpersonen gebaut, denn die Nachfrage wächst. In diesen Gebäuden kann jeder Räume in verschiedenen Größen für unterschiedliche Zeiträume anmieten, um dort Gegenstände unterzubringen, die in den eigenen vier Wänden gerade keinen Platz finden.
In ihrer Magisterarbeit „Restopia – Selfstorage als urbane Praxis“ beschäftigt sich auch Petra Beck mit dem Phänomen Selfstorage und Lagerung. Ein Kapitel behandelt „die Praktiken der Selfstorer und ihren Umgang mit Dingen“. Darin begründet Beck die Liebe mancher Menschen zu Selfstorage-Räumen damit, dass sie einen Übergang bieten, „einen neuen Raum des Loslassens“ und gleichzeitig einen schmerzfreien Ablösungsprozess. Lagerräume sind oft eine Reise ins Vergessen, wodurch Dinge „in einen Schwebezustand“ gesetzt werden. Es wird einem leicht gemacht, Entscheidungen aufzuschieben. Dinge, zu denen man schon eine emotionale Bindung aufgebaut hat und für die man womöglich auch einiges bezahlt hat, müssen noch nicht gleich aus dem Leben gestrichen werden sondern bleiben verfügbar.
Diese Liebe zu Dingen und die Unfähigkeit, sich von Liebgewonnenem zu trennen, kennt vermutlich jeder. TV-Reportagen wie „Trödeltrupp – Das Geld liegt im Keller“, „Storage Hunters“, „Bares für Rares“ oder „Kunst und Krempel“ greifen das auf, wenn auch mit unterschiedlichem, zielgruppengerechtem Konzept und Storytelling. Im Studio, bei Privatpersonen zu Hause oder in Lagerräumen werden gesammelte Gegenstände begutachtet und nach Wertvollem wie Kuriosem durchsucht. Die Hoffnung auf überraschend wertvolle Dinge hält die Spannung der Protagonisten, aber auch die des Zuschauers hoch. Oft kann es hier zu Diskussionen aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen von Sammler und Experte kommen, da der Experte den Gegenstand zwar für wertlos hält, der Sammler allerdings eine große emotionale Bindung dazu aufgebaut hat oder schlicht ein Imitat nicht von einem Original unterscheiden kann. Die als besonders wertvoll erachteten Gegenstände werden dann zum Schätzen gebracht, an Händler oder auf einem Flohmarkt verkauft. Auch dort kann ein Überraschungsmoment entstehen, wenn der Wert des Gegenstandes nicht dem erwarteten entspricht. So kann es, wie in der Reportage „Platzmangel – was Deutsche alles einlagern“ bei „30 Minuten Deutschland“ vorkommen, dass ein geerbtes Bild schon fast weggeworfen wurde und schließlich auf mehrere tausend Euro geschätzt wird, oder eine als wertvoll erachtete Skulptur letztendlich kaum einen Gewinn bringt.
Was aber macht diese Sendungen mit dem eigentlich schlichten Plot so erfolgreich und bei den Zuschauern beliebt? Gerade diese nicht geahnten Situationen, die Überraschungsmomente, scheinen den Zuschauer an die Sendung zu binden. Die Protagonisten sind oft „Menschen wie du und ich“, die jedoch immer eine besondere Lebensgeschichte oder ein rührendes Schicksal haben, die sie und ihr Privatleben interessant machen. So sticht es zwar aus der Masse heraus, dennoch fällt es dem Zuschauer leicht, sich mit den Personen zu identifizieren. Und so fragt er sich womöglich selbst, was in seinem eigenen Keller, Dachboden oder Lagerraum noch so zu finden ist. Bei „Trödeltrupp – Das Geld liegt im Keller“ beispielsweise gibt es Fälle, in denen der Sammler seine Gegenstände im letzten Moment doch nicht hergeben möchte oder, dass nur durch den Verkauf des Angesammelten die Flugtickets zum Besuch des erkrankten Vaters finanzierbar sind. Auch die Gegenstände selbst können eine unterhaltsame Geschichte beinhalten, wie bei einem jungen Mann, der statt Akten oder Sportsachen Playmobil-Figuren sammelt, die er auf Ausstellungen präsentiert.
Neben den TV-Serien gibt es auch Veranstaltungen, die nach einem ähnlichen Muster funktionieren. Beim Selfstorage-Anbieter MyPlace zum Beispiel weiß man, dass sich in Lagerräumen vieles ansammelt, dessen Wert die Besitzer oft nicht kennen oder falsch einschätzen. So hat das Unternehmen die Veranstaltung „Experten bewerten“ ins Leben gerufen. Hier können Besucher bis zu drei mitgebrachte Gegenstände kostenlos von Experten schätzen lassen. Von Schmuck über Bilder bis hin zu Möbelstücken wird jedes Teil inspiziert und beurteilt.
Während sich dabei manch vermeintlich wertvolles Familienerbstück als nur wertloser Trödel herausstellt, erfahren andere die Überraschung, dass ihr eins günstig erworbener Gegenstand ein Sammlerstück und damit wirklich wertvoll ist. Wie in TV-Sendungen sind also auch hier eine spannende Geschichte zu den einzelnen Personen und oftmals auch der Überraschungseffekt bei der Schätzung des Wertes gegeben.
Anhand dieser Beispiele wird schnell erkenntlich, dass Menschen alles Mögliche in ihren Lagerräumen aufbewahren. Manches wird vielleicht in den Tiefen des Raumes vergessen, manches wieder verwendet, anderes dann doch entsorgt. Eine Phase des Übergangs kann eine solche Lagermöglichkeit also allemal bieten. Dinge, die man noch weder in die Kategorie „wiederverwendbar“ noch in den Bereich „zu entsorgen“ eingeordnet werden können, werden somit erst einmal zwischengelagert, bis eventuell „ganz bald“ eine neuer Platz dafür gefunden wird.
Ramona Dietrich
Ramona Dietrich wurde in München geboren. Sie lebte ein Jahr in den USA und studiert seit 2012 Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.