Techniken des Einlagerns
Der Reiz beim Blick in das Innere des Lagers beziehungsweise der Box liegt ähnlich wie beim Blick in den Guckkasten in der Mischung aus Magischem und Realem, Unsichtbaren und Sichtbaren. Faszinierend ist dabei nicht nur, dass sich in der Dichte des Raumes unzählige Dinge nebeneinander versammelt haben, sichtbar oder unsichtbar für das Auge, über deren Anordnung sich selbst ihr Besitzer oft genug noch im Unklaren ist, auch dass hier viele unterschiedliche, oft kaum zu verbindende Dinge mehr oder weniger zufällig nebeneinander angeordnet sind.
Diese persönlich kreierten 'Dingwelten', innerhalb derer sich ihre Besitzer ihre Ordnungen eingerichtet haben, sollen nun im Folgenden anhand von fotografischen Abbildungen des Lagerinnenraumes unter die ˈLupeˈ genommen werden. Die Fotos bieten als begrenzter Ausschnitt des Sichtbaren einen Eindruck von der unterschiedlichen räumlichen Anordnung der Dinge, beziehungsweise des von den Interviewpartnern 'komponierten' Erscheinungsbilds der Dinge in den Lagerräumen. Sie zeigen das beliebig angelegte „Sammelsurium“, das einer praktischen Ordnung folgende „Lager“, das nach einer sorgfältigen Bestandsaufnahme entstandene „Archiv“ und das mit einer multifunktionellen Nutzbarkeit ausgestattete Lager, die „(Hobby-) Werkstatt“. Wir wollen uns im Folgenden die Techniken der Lagerbestückung eines Interviewpartners zu erschließen versuchen.
Beim Blick in den Lagerraum des Herrn Grube verrät die Möblierung (Regale mit Kartons, Leiter), die Sortierung (offensichtliche An- und Zuordnung bez. Ordnung der Dinge) und die Codierung (Notation: Beschriftung und Nummerierung) sofort ihren archivartigen Charakter. Die links und rechts aufgestellten Regale hat er, seinem ingeniösen Plan folgend, die „Sachen maßgerecht zusammen[zu]kochen“ und den vorgegebenen Raum damit optimal auszunutzen, entworfen, gebaut, aufgestellt und eingeräumt. Die Regalbretter lassen sich dabei, je nach Bedarf, höhenmäßig verschieben. Als nicht nur ordnende Maßnahme, sondern auch zum Schutz der Dinge hat er Kartons ausgewählt, die nun in einer Linie nebeneinander aufgereiht oder zwei- bis dreireihig übereinander gestapelt sind. Den Inhalt habe er nach Sachgebieten einsortiert: technische Geräte, wie Kabel aller Art, Drucker, Handyladegerät, Kamerazubehör, Radio, dann Bastelzubehör wie Wolle, Stoffe, Kunstblumen, dann Spielzeug wie Puppen und Teddybären, Zeitschriften wie Merian und Computerbild und vieles mehr. Alle Kartons hat er mit weißen Etiketten versehen, die die Aufschrift jedes einzelnen Objekts trägt, das sich darin befindet. Auf einem Karton fällt auf, dass sich neben den ganzen Beschriftungen mit technischen Gerätschaften, plötzlich die Aufschrift „Pfeffermühle“ findet. Wenn ich den Karton betrachte, muss ich unwillkürlich lachen, denn neben Teddy und Elefant befinden sich in diesem Karton drei Thermoskannen und ein Leuchtglobus. Ein Lachen das mich an Foucaults Lachen erinnert als er Borges inzwischen vielzitiertes Beispiel der chinesischen Enzyklopädie betrachtet, die ganz andere Vorstellungen von Zusammengehörendem aufweist als wir es gewohnt sind.1
Doch selbst in dieser etwas chaotischen Lagerhaltung liegt ein System, da nicht nur alle Objekte im Karton per Etikettenbeschriftung außen vermerkt sind, sondern zusätzlich noch in einer Inventarliste. Diese gehorcht ganz der alphabetischen Ordnung und wurde mit Excel entworfen, sodass jederzeit Änderungen möglich sind. Damit nun das Ding auf der Inventarliste auch schnellstmöglich einem Ort, also Wohnung, Keller oder Self Storage Lagerraum, und dort wieder seinem Karton zugeordnet werden kann, sind sie nicht nur mit Ortsbenennung, sondern auch mit einer Nummerierung versehen, die er nach und nach auch auf die Kartons übertragen wird, denn noch ist das System unvollständig umgesetzt. Von zuhause aus hat er bereits einen Überblick, was sich an welchem Ort und in welchem Karton befindet. Braucht er also technisches Zubehör schlägt er den Ort der Lagerung nach, fährt zum Lagerraum, betritt diesen Raum durch einen schmalen Gang zwischen den Regalen, nimmt sich die Leiter zur Hand und zieht mit sicherem Griff den richtigen Karton hervor. Da die Lichtverhältnisse oft schlecht sind, hat er stets eine Taschenlampe zur Hand, außerdem plant er noch, einen Tisch und einen Stuhl in den Lagerraum zu stellen, um bequem nach den Dingen suchen zu können. Die Dinge sind ihm absolut zugänglich und jederzeit wieder auffindbar.
1 Vgl. Michel Foucault: Vorwort. In: Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaft. Frankfurt /Main 1971, S.17-28, S. 17.
Annelie Knust
Annelie Knust studierte Empirische Kulturwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Kunstgeschichte auf Magister an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ihre Abschlussarbeit "Zum Wegwerfen zu schade?" im Fach Empirische Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland-Institut handelt von Menschen, ihren Dingen und ihren Erfahrungen mit deren Speicherung bzw. Einlagerung bei „Self Storage–Firmen“ (Selbstlagerzentren). Seit April 2013 arbeitet Annelie Knust als Assistenz im Museum "Fondation Beyeler" in Basel.