Moderne Stadtnomadin im Großstadtdschungel
Wo und wie wir wohnen, macht viel mit uns: Es beeinflusst unser Wohlbefinden und unsere Zufriedenheit. In einigen Sprachen, so zum Beispiel im Englischen, gibt es keine Unterscheidung zwischen den Worten „wohnen“ und „leben“. Viele Menschen verbinden mit dem Begriff eine Nähe zur Heimat – und wieder andere ziehen ständig durch die Gegend und erleben dabei Odyssee durch den Wohnungsmarkt. So ist es auch mir bei meinen fünf Umzügen in den letzten vier Jahren ergangen.
Die Bachelorzeit habe ich konstant in einer Stadt verbracht. Ohne große geographische Veränderungen. Aber nach dem Bachelor ging es los mit den vielen Fragen: Was nun? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Wo will ich hin? Bei Geisteswissenschaftlern sind die Wege ja nicht wirklich vorgegeben. Ich entschied mich erst einmal den "normalen" Weg einzuschlagen und einen Master im selben Fach zu beginnen – der Auftakt einer langen Reihe vieler Umzüge: Los ging es mit dem Umzug in das Rhein-Main Gebiet.
Und damit startete auch die Wohnungssuche. Ähnlich wie bei meiner ersten WG, wurde ich zu Castings eingeladen, die alle im 30-Minuten-Takt stattfanden. Bei den Besichtigungen sind keine Vermieter anwesend, nur die Bewohner und die wollen natürlich einen Nachmieter, von dem sie profitieren. Wohnung streichen, Post nachsenden – was tut man nicht alles für bezahlbaren Wohnraum.
Ein halbes Jahr später: Umorientierung. Doch ein anderer Master, doch in einer anderen Stadt. Es ging in den hohen Norden, an die Elbe. Und die Suche begann von vorne. Manchmal kommen einem dabei schon Zweifel an der Menschheit. Gewünscht wird: Bitte immer viel Miete zahlen und am besten gar nicht wirklich in der neuen Wohnung wohnen wollen. Wochenendheimfahrer (ein Wort aus unserer heutigen Pendlerzeit), die unter der Woche so lange wie möglich arbeiten und am Wochenende gar nicht da sind, scheinen die begehrtesten Mitbewohner zu sein. Oder Menschen, denen es nichts ausmacht, dass die Wohnung nach Katzenurin riecht und jede Menge Haare an den Kaffeetassen kleben.
Schnell wird einem klar: Es herrscht Wohnungsnot in deutschen Großstädten. Die Mietpreise steigen, denn immer mehr Menschen wollen in die Stadt. 2030 sollen nach IW-Prognose rund 25 Prozent der Bevölkerung Deutschlands in Städten leben. Zurzeit sind es ungefähr 16 Prozent. Da wird auch schnell das wahre Glück des modernen Menschen deutlich. Suchte man früher nach etwas wie dem Sinn des Lebens, geht es heute viel konkreter: Eine schöne bezahlbare Wohnung, hier ist man Mensch, hier darf man sein.
Aber ist das große Glück gefunden, treibt einen das Fernweh schon wieder weg – so zumindest bei mir. Auf andere Kontinente, die Welt erkunden, den Raum neu entdecken, Abenteuer erleben, ein Auslandssemester soll es sein.
Im tropischen Brasilien, an einer Stadt am Meer, in der es immer warm ist. Aber nein, nicht Rio de Janeiro, für mich ging es tief in den tropischen Norden. Eine neue Wohnung musste her, mal wieder, und so begann die nächste Suche. WG-Casting in Brasilien. Frauen und Männer in einer Wohnung? Eher die Seltenheit. Rund um den Unicampus gibt es „repúblicas“, Studentenwohngemeinschaften, in denen viele junge Leute günstig unterkommen. Eine Mischung aus Studentenwohnheim und Wohngemeinschaft. Seine Ruhe hat dort so gut wie niemand, ein eigenes Zimmer auch nicht. Es wird geteilt. Und die Vermieter scheinen sich nicht selten in der Vater- oder Mutterrolle zu sehen. Ist die Wäsche ordentlich gewaschen? Wird auch nicht zu viel Strom verbraucht? Gab es spät nachts noch Besuch?
Nicht für jeden was. Für mich auf jeden Fall nichts. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Eine eigene WG gründen, mit anderen Austauschstudenten. Aber woher die ganzen Möbel bekommen? Und Tassen? Und Teller? Die Lösung: Eine möblierte Wohnung. Die ist zwar etwas teurer, aber alles zu kaufen kostet schließlich auch Geld, Zeit und Nerven. Da bietet die möblierte Variante eine komfortable Alternative.
Doch auch das Jahr im Ausland ging schnell vorbei. Zurück in Deutschland stand nach dem Master der nächste Umzug und somit auch die nächste Wohnungssuche an. Diesmal ging es in den Süden, in eine Metropole mit Alpenblick. Dabei kommt man nicht drum herum, zu bemerken, dass die Mietpreise eher nicht günstiger geworden sind. Da macht auch Erfahrung die Wohnungssuche nicht einfacher. Außerdem stellte ich fest: Auch in Deutschland scheinen möblierte Wohnungen immer beliebter zu werden, schließlich sind auch hier immer mehr Menschen mobil und international auf dem Arbeitsmarkt unterwegs. Laut dem Berliner Mieterverein waren zum Beispiel 2012 in Berlin 17 Prozent der Wohnungen möbliert, 2016 waren es schon 35 Prozent. Ein zusätzlicher Nebeneffekt, der den Trend nicht unerheblich beeinflusst und die Vermieter freut: In Deutschland gilt die Mietpreisbremse bei möblierten Wohnungen nicht.
Aber es sollte für mich nicht wieder eine möblierte Wohnung sein. Nach all dem Hin und Her wäre es doch ganz schön, endlich wieder seine eigenen Sachen zu haben und vielleicht länger an einem Ort zu bleiben. Und nach einer ewigen Suche, die man mit vielen Leidgenossen teilt, das langersehnte Glück: eine Wohnung in München – auch wenn die Miete weit über dem Mietpreisspiegel liegt. Eine Wohnung in München. Halleluja, Ave Maria! Und das obwohl ich nicht katholisch bin.
Keila Eckerleben Schmitz
Keila Eckerleben Schmitz studierte Geschichte, Journalismus und Lateinamerika-Studien. Für ihr Studium zog die Deutsch-Brasilianerin innerhalb von vier Jahren fünf Mal um.